Cassandra Negra: Gastkolumne - Was macht eigentlich einen guten Thriller aus?

Cassandra Negra
Foto: privat
Als ich gefragt wurde, ob ich eine Kolumne zu diesem Thema schreiben möchte, habe ich zunächst gezögert. Als Thriller-Autorin selbst über Thriller zu schreiben, ist alles andere als einfach. Als Insiderin neigt man unwillkürlich zu rein subjektiven Betrachtungen und Beobachtungen, manchmal sogar zu »Vorurteilen«. Und dennoch: Das Thema hat mich gereizt. Ganz besonders die Frage, was eigentlich einen guten Thriller ausmacht. Für mich persönlich verbirgt sich dahinter nämlich mehr als nur der Thrill (dieses zwiespältige Gefühlserlebnis zwischen Angst und Lust, Hoffen und Bangen, das viele Leser zu Recht erwarten), Spannung, Mörderjagd, Ermittler-Duos und jede Menge blutrünstiger Gräueltaten. Unbestreitbar sind diese Zutaten das Salz in der Suppe, das nicht fehlen darf.

Doch ein guter Thriller geht weit darüber hinaus. Er wagt es, in menschliche Abgründe zu blicken und gibt sich nicht mit der Schilderung oberflächlicher Ermittlungsarbeit zufrieden. Er stellt Fragen, fordert den Leser und regt zum Mitdenken an. Ein guter Thriller wirkt nach, denn vieles offenbart sich eben nicht beim ersten Lesen. Manches bleibt unbeantwortet und regt dazu an, eigene Antworten zu finden. Wenn wir uns weit in die Untiefen der menschlichen Seele wagen, gibt es niemals nur eine einzige Antwort. Vieles bleibt rätselhaft und mysteriös. Vermutlich wird das auch so bleiben, denn unser menschliches Verhalten ist in gewisser Weise zwar verständlich und voraussagbar, doch es gibt eine Variable, über die wir nur begrenzte Aussagen machen können: unser soziales Umfeld, das unser Verhalten prägt. Wir sind beeinflussbar von dem, was um uns herum geschieht – sei es nun unbeabsichtigt oder vorsätzlich.

Genauso ist es auch mit dem Bösen, das im Zentrum eines Thrillers steht, und oft nur als eine Eigenschaft wahrgenommen wird, die einige haben und andere nicht; wie ein schlechter Samen, der letztlich eine schlechte Frucht hervorbringt. Doch so einfach wie es manchmal vielleicht scheint, ist es eben nicht. Denn auch hier haben die Familie, die Schule, die Religion, der Beruf, die Politik und vieles mehr großen Einfluss. Ursprünglich spielen wir alle, jeder in seinem Umfeld, eine zugewiesene oder gewählte Rolle, doch im Laufe der Zeit übernimmt die Rolle uns und wir werden zu ihr. Überlegen Sie einmal, wie gut Sie sich eigentlich selbst kennen. Wo liegen Ihre Stärken und Schwächen? Sie werden feststellen, dass Ihnen die Antwort auf diese Frage nicht leicht fällt und vielleicht greifen Sie vorschnell in vertraute Schubladen. Fragen Sie sich bitte auch, wenn sie die Fragen beantwortet haben, ob Ihre Antworten nicht in erster Linie auf Verhalten beruhen, das Sie in vertrauten Situationen zeigen. Was aber würde passieren, wenn Sie beginnen, all Ihre Gewohnheiten und ihre vertraute Rolle infrage stellen? Haben Sie sich je gefragt, wie Sie sich in bestimmten Grenzsituationen verhalten würden?

 Als Autorin treibt mich genau diese Frage um: Wie verhalten sich Menschen in Grenzsituationen und was es ist, das aus gewöhnlichen Menschen Mörder werden lässt. Immer wieder nähere ich mich dabei in meinen Büchern auch einem der dunkelsten Kapitel deutscher Geschichte, der Zeit des Nationalsozialismus. Bis heute gibt es viele unbeantwortete Fragen, beispielsweise wie in einer zivilisierten Gesellschaft der Holocaust geschehen konnte und warum viele die Augen vor den menschenverachtenden Verbrechen der Nationalsozialisten verschlossen haben und zu Mitläufern wurden? Und was war es, das sie an Hitler faszinierte und sie - ganz besonders in Gruppen - zu willigen, nicht mehr eigenständig denkenden Gefolgsleuten seiner kranken Ideologien und populären Parolen machte? 

Aber was hat all dies nun mit einem guten Thriller zu tun, werden Sie sich jetzt ganz bestimmt fragen. Nun, ganz einfach: Ein Buch, das in diesem Genre fesseln soll, sollte mehr bieten als Thrill und Mörderjagd. Es sollte Leser auf emotionale Berg- und Talfahrten mitnehmen und dabei auch mal unbequem und fordernd sein. Und natürlich muss es auch den Mut haben, Positionen einzunehmen, die nicht dem Mehrheitsdenken entsprechen, denn auch dazu ist Literatur ja schließlich da.

Ich möchte Sie ermutigen, Bücher in die Hand zu nehmen – jenseits des Mainstreams und abseits der Bestsellerlisten. Versuchen Sie, Ihre „Scheuklappen“ abzulegen und sich einen unverstellten Blick zu bewahren. Seien Sie offen für Neues und Anderes. Es gibt so viel Wundervolles zu entdecken, wenn man sich nur darauf einlässt. Denken Sie nur an Umberto Ecos Roman „Das Foucaultsche Pendel“. Ein Buch, das nach dem Erscheinen eigentlich niemand lesen wollten: zu kompliziert, zu eigen, zu viele Handlungsstränge, zu wissenschaftlich. Der Autor war nach der massiven, teilweise vernichtenden Kritik schon unsicher geworden und wollte das Buch eigentlich vom Markt nehmen. Er hat es nicht getan, und aus heutiger Sicht kann man nur sagen: Gott sei Dank, denn es ist ein Weltbestseller geworden. 

Bleiben Sie als Leser kritisch, seien Sie unbequem und halten Sie mit Ihrer Meinung nicht hinter den Berg- und haben Sie den Mut, auch gegen den Strom der Masse zu schwimmen. 

Cassandra Negra.

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