Gastkolumne Nikolas Maltezos: Über den indischen Straßenverkehr- Spezielle Eindrücke während meiner Indienreise im Oktober und November 2017

 Nikolas Maltezos 
Gespannt war ich auf den indischen Straßenverkehr und ich sollte nicht enttäuscht werden. Schnell reifte in mir die Erkenntnis, dass die ersten Chaostheorien durch Beobachtung dessen abgelichtet worden waren. Fahrbahnmarkierungen sind hier eher Empfehlung, die beim Aufkommen erhöhten Verkehrs, ihre Verbindlichkeit verlieren. So wird aus einer originär zweispurigen Straße bei entsprechenden Aufkommen schnell mal eine fünfspurige. So etwas wie Linksfahrgebot gibt es nicht. Überholen, Einfädeln, Abbiegen findet nach eigenem Gusto und nicht nach den Maßstab einer, wie auch immer gearteten, Straßenverkehrsordnung statt. 

Der Verkehr trägt soziadarwinistische Züge. Derjenige, der mit dem schnelleren Auto, potenteren Fahrer und der entsprechenden Kaltschnäuzigkeit ausgestattet ist, bewegt sich hier rascher und kann mitunter pro 100km eine Zeitersparnis von bis zu 30 Sekunden heraus schlagen. Das ist enorm. Für das ungeübte europäische Auge mutet der Verkehr unkoordiniert und willkürlich an. Ist er aber nicht. Selbst das Chaos kann ohne eine gewisse Ordnung nicht existieren. Zwischen den am Verkehr beteiligten gibt es ein ausgeprägtes und ausgeklügeltes Kommunikationssystem. 

Rechtmäßiges Überholen über links wird mit kurzem ca. eine Sekunde andauerndem Hupen angedeutet. Unrechtmäßiges Überholen über rechts mindestens doppelt so langes Hupen, je nach Eile des Fahrers bis zum Abschluss des Überholvorgangs. Durchzwängen zwischen zwei Autos muss mit zweimal drei Sekunden andauernden Hupen angekündigt werden. Hinzu kommt ein kurzer Hornstoß beim Passieren. Obligatorisch ist das Hupen auch zum Anzeigen des Abbiegevorgangs. Hierbei spielt es keine Rolle, ob man sich mutterseelenallein allein auf der Straße befindet. Vorfahrtsregeln sind gänzlich unbekannt. Weshalb böse Zungen behaupten, man könne in diesem Verkehr als Absolvent einer europäischen Fahrschule nicht zurechtkommen, ist mir noch immer schleierhaft

Verwunderlich (was schnell verfliegt) am indischen Straßenverkehr ist ebenfalls, dass an roten Ampeln nicht gehalten wird. Fahren in Gegenrichtung ist ebenfalls möglich. Zumindest auf Landstraßen und soweit man dies auf den Seitenstreifen beschränkt. Dieses Verhalten wurde auf Mautstraßen bzw Autobahnen nicht gesichtet. 

Inder sind sehr wohl fähig Fahrbahnmarkierungen zu beachten, soweit die Verkehrsdichte eine Anhäufung von sechs bis sieben Autos pro Kilometer nicht überschreitet. Insofern muss ich meine Meinung über den grundsätzlichen Drang, sich nicht an Regeln zu halten, revidieren. Es könnte aber auch sein, dass die hiesige Tourismusbehörde einige Komparsen auf die Autobahn geschickt hat.Die Nachforschungen diesbezüglich dauern noch an. Auffällig ist auch, dass die Gurtpflicht ernst genommen wird. Nicht angegurtete Fahrer sind sind sehr selten zu sehen. Richtungswechsel werden überwiegend gewissenhaft angezeigt. Ein kleiner Nachtrag zum Hupen. Neben seinem verkehrstechnischen Funktion scheint das Hupen auch eine psychologische Komponente zu haben. So in etwa nach dem Motto: "Hoppla, jetzt komm ich!"(Hans Albers) oder besser in meinen Augen "Ich bin Ich. Ich bin jetzt. Das allein ist meine Welt" (Rosenstolz). 

Daneben hat es natürlich auch eine Alibifunktion. Im Falle eines Zusammenstoßes, kann man sich noch immer damit herausreden, man hätte ja gehupt und so die Verantwortung auf den Unfallgegner abgewälzt, denn dieser habe die durch entsprechendes Hupen angezeigte Situation missachtet und so den Unfall provoziert. Ein ebenfalls kleiner Nachtrag zur Verkehrsdichte. Dass man sich bei einem solch hohem Verkehrsaufkommen, so als hätte sich ganz Delhi just in dem Moment entschieden auf die Straße zu gehen, so man selbst sich dazu aufgerafft hat, die Verkehrsdichte gefühlt ca eine Million Autos pro qm beträgt und einer Melange der Viskositätsklasse 5 entspricht, unwohl fühlt, liegt wohl eher an der eigenen Psychologie, die ich in nunmehr über vierzigjährigem Leben in Deutschland angeeignet habe. 

Deutsche Autofahrer achten peinlichst genau auf gebührenden Abstand. Statistiken zur Folge verlieren Deutsche lieber einen entfernten Verwandten, als dass ihr Auto einen Totalschaden erleidet. Wird der Sicherheitsabstand unterschritten oder kommt es gar (wenn auch nur leichten) Berührung, so kann die probate Antwort hierauf nur der Einsatz des SEK lieber noch der GSG9 sein, um den Drängler in seine Schranken zu weisen. Solches Verhalten ist am liebsten mit lebenslanger Freiheitsstrafe zu bestrafen, lieber noch die Todesstrafe einzuführen. Ebenso beim Parken. Deutsche würden am liebsten einen Minengürtel ums eigene Auto ziehen. Der gemeine Inder hat solche Berührungsängste nicht. Die Verkehrsdichte ist dermaßen hoch, dass die Toleranzschwelle hierzu doppelt exponentiell verringert hat. Das Auto ist und bleibt ein Fortbewegungsmittel. Aber erklärt das mal in Deutschland. Dass Auffahrten als Ausfahrten und umgekehrt genutzt werden, sei hier an Rande erwähnt und kann angesichts der bisherigen Ausführungen nicht wirklich verwundern.

Nikolas Maltezos:

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